Oberwaltersdorf
ist heute weithin bekannt durch einen der reichsten Männer
Österreichs,
einem weltweit überaus erfolgreichen Geschäftsmann, der sich für
viele überraschend in dieser, bis dahin eher unscheinbaren, keine 4000
Einwohner zählenden Marktgemeinde irgendwo im Wiener Becken
nahe der ungarischen Grenze niedergelassen hat, und, aus welchem Grund auch immer, genau hier seine
Europazentrale errichten wollte, um fortan seine neuen ehrgeizigen
Forschungsprojekte und privaten Träume zu verwirklichen.
Neidvoll
blicken die geschmähten Nachbardörfer jetzt auf die von ihm
geschaffenen Arbeitsplätze, die für hiesige Verhältnisse (und seit
aristokratischen Tagen) nicht mehr gesehenen, noblen
Villensiedlungen mit eigenem Golfplatz und künstlich angelegtem See
und die unvorstellbar gigantischen Stallungen für edle Rassepferde. Da
können einem schon mal ordentlich die Augen übergehen bei so viel
Luxus - warum nicht auch ein wenig vor, zu eigenen Taten motivierendem,
gesunden Neid. Wen wundert es also wirklich, wenn alle Welt ganz rasch
auf diese schicke Pferdeherberge aufmerksam geworden ist und immer öfter
bekanntes Neureiches hier gesehen wird,
um sich das Geheimnis dieses "World of Wonder", wie es unter
der Hand genannt wird, in einer Zeit der Stagnation und Spartüten
einmal aus nächster Nähe anzusehen und einer Gold werten Einladung vom
Big Boss zu harren. Selbst das jeder dieser Art irdischer Versuchungen
resistent scheinende katholische Kirchenoberhaupt aus Polen wollte
sich bei seiner Wien-Audienz pardauz nicht wie erwartet den Tafelwein
aus der vielbesungenen Wachau, sondern ausgerechnet vom Winzer aus dem
Dorf der Wunder persönlich dessen beste Rebe ins Glas schütten lassen.
Es sind keine dahingehenden Seeligsprechungen bekannt und zudem ist es
auch ungesichert, dass es hier in der Thermenregion, wo es angeblich
den größten unterirdischen See Europas geben soll, auch den besten
Wein Österreichs gibt, oder die ganz normalen Einwohner dieses Ortes
anders sind, als die Menschen der umliegenden Provinz. Verlässlich
gesichert ist hingegen, dass gerade in dieser alpenländischen
Ansiedlung im Jahre 1996, in unmittelbarer Folge der hier alle
bewegenden Frage: "Soll das kleine Österreich zur EU oder nicht?",
durch Zufall eine weitreichende zivilgesellschaftliche Europaidee
geboren wurde.
Auslöser dafür war zweifellos der damals
amtierende Bürgermeister, welcher wegen der politcal-correctness-balance zu den offenkundig
überhand
genommenen Euro-Gegnern noch sprachgewandte Befürworter suchte. Einer
dieser nachträglich hinzugezogenen Redner war der Regisseur und
Buchautor Walter Zupan. Er war damals bereits in seinen Siebzigern und
gehörte zweifellos zu den schillerndsten Persönlichkeiten vor Ort. Als
Sohn eines charmanten Ungarn, von dem er zweifellos seine speziell von
den Damen geschätzte Nonchalance alter Schule geerbt hat, und einer
Österreicherin,
die ihn großgezogen hat und deren unverkennbarer Vorarlberger Dialekt
bis heute seine Aussprache
färbt. Er hatte im Grunde für ein Menschenleben viel zu viel von der
Welt gesehen und einiges davon in seinen über 200(!) Filmen und
zahlreichen Büchern dargestellt. Als geübter Erzähler versteht er
es daher selbstredend, überaus spannend von seinen unzähligen
Abenteuern aus seinem bewegten Leben zu berichten. Einerlei ob
es nun um lebensgefährliche Dreharbeiten in den kommunistischen Gefilden
Videl Castros geht, oder die bewegende Story, wie er
zusammen
mit seinem Freund Hermann Gmeiner zwischen den Kampf-Fronten des
Vietnamkrieges, unter undenkbar widrigen Umständen, ein
SOS-Kinderdorf aufgebaut hat. Oder über den fulminanten Sieg bei der österreichischen
Bundeskanzlerwahl unter seiner Wahlkampfleitung und sein Engagement in
den Anfängen der heute weltweit gefeierten Bregenzer See-Festspiele
und so weiter und so fort "
Man fragt sich spätestens nach
Dutzenden
solcher Geschichten unwillkürlich: Wie alt ist dieser Mann
eigentlich, der das alles erlebt haben will? Aber am besten beschreibt
man die unglaubliche Lebenserfahrung dieses W. J. Zupan, indem man
sich vorstellt, in einem vertraulichen Gespräch mit ihm einfach
irgend ein Stichwort fallen zu lassen. Sagen wir mal Saudi Arabien, oder
Bundesbahn, Jugenstilvilla, Kampfpilot oder vielleicht Geheimdienst,
ganz egal - ohne das man sich versieht, übernimmt er völlig überraschend
den ihm imaginär zugespielten Ball, richtet sich kerzengerade auf und
fragt mit schelmisch und vor Tatendrang
blitzenden Lausbubenaugen: "Geheimdienst? Tut mir leid,
aber da fällt mir gleich wieder eine Geschichte dazu ein".
Bevor man auf seine rhetorische Frage, ob man sie auch hören möchte,
reagieren kann, hat er die Stimmlage bereits in einen alles übertönenden,
tiefen Erzähl-Timbre gesenkt. Wer kann in diesem Moment einen
klugen alten Mann unterbrechen, der es geschickt versteht, einen
Spannungsbogen aufzubauen und kurzweilig über seine Erfahrung mit
Gott und der Welt zu zitieren? Das kann er sich unmöglich auf
Knopfdruck alles im Stegreif aus den Fingern saugen. Es sind vielmehr
tief in seinem Inneren gespeicherte, einsichtsvolle Erkenntnisse,
in bewegten Tagen vieler vergangener Jahrzehnte erfahren, verarbeitet
und zurechtgelegt. Man muss ihm einfach zuhören, will man die Sicht der
Dinge und Fragen, die uns alle bewegen, mal aus erfahrenem Munde hören.
Was wir daraus machen bleibt uns überlassen. Geschickt setzt er zur
rechten Zeit Sprechpausen, um zu sehen, ob die Zuhörenden der
geschilderten Handlung noch folgen und wartet auf dem Höhepunkt der
Erzählung, wohl zeitlebens mit Applaus verwöhnt, auf ein zustimmendes
Lächeln oder Nicken, als kleine Anerkennung seines Vortrages. Verzeihen
wir ihm diese winzige Marotte, können wir doch, wie erwähnt, auf diese
live überlieferte Weise mitunter mehr über ihn, also über das pure
Leben weit mehr erfahren, als in unzähligen Geschichtsbüchern. Darin
bestimmen in der Regel immer die Sieger die Ereignisse aus ihrer Sicht -
aber sie haben wohl nicht immer recht.
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