E U R O P A  S I C H T B A R   M A C H E N

   

   

Wie kommt man auf so eine Idee?  
Ein Essay über Walter Josef Zupan, einen Mann, der uns zeigt, wie Europa aussieht,
von Walter-W. Legenstein,

  

  Europa aus dem vollen Leben
Blick auf das Oberwaltersdorfer World of Wonder
 
       Oberwaltersdorf ist heute weithin bekannt durch einen der reichsten Männer Österreichs, einem weltweit überaus erfolgreichen Geschäftsmann, der sich für viele überraschend in dieser, bis dahin eher unscheinbaren, keine 4000 Einwohner zählenden Marktgemeinde irgendwo im Wiener Becken nahe der ungarischen Grenze  niedergelassen hat, und, aus welchem Grund auch immer, genau hier seine Europazentrale errichten wollte, um fortan seine neuen ehrgeizigen Forschungsprojekte und privaten Träume zu verwirklichen. 

Neidvoll blicken die geschmähten Nachbardörfer jetzt auf die von ihm geschaffenen Arbeitsplätze, die für hiesige Verhältnisse (und seit aristokratischen Tagen) nicht mehr gesehenen, noblen Villensiedlungen mit eigenem Golfplatz und künstlich angelegtem See und die unvorstellbar gigantischen Stallungen für edle Rassepferde. Da können einem schon mal ordentlich die Augen übergehen bei so viel Luxus - warum nicht auch ein wenig vor, zu eigenen Taten motivierendem, gesunden Neid. Wen wundert es also wirklich, wenn alle Welt ganz rasch auf diese schicke Pferdeherberge aufmerksam geworden ist und immer öfter bekanntes Neureiches hier gesehen wird, um sich das Geheimnis dieses "World of Wonder", wie es unter der Hand genannt wird, in einer Zeit der Stagnation und Spartüten einmal aus nächster Nähe anzusehen und einer Gold werten Einladung vom Big Boss zu harren. Selbst das jeder dieser Art irdischer Versuchungen resistent scheinende katholische Kirchenoberhaupt aus Polen wollte sich bei seiner Wien-Audienz pardauz nicht wie erwartet den Tafelwein aus der vielbesungenen Wachau, sondern ausgerechnet vom Winzer aus dem Dorf der Wunder persönlich dessen beste Rebe ins Glas schütten lassen. Es sind keine dahingehenden Seeligsprechungen bekannt und zudem ist es auch ungesichert, dass es hier in der Thermenregion, wo es angeblich den größten unterirdischen See Europas geben soll, auch den besten Wein Österreichs gibt, oder die ganz normalen Einwohner dieses Ortes anders sind, als die Menschen der umliegenden Provinz. Verlässlich gesichert ist hingegen, dass gerade in dieser alpenländischen Ansiedlung im Jahre 1996, in unmittelbarer Folge der hier alle bewegenden Frage: "Soll das kleine Österreich zur EU oder nicht?", durch Zufall eine weitreichende zivilgesellschaftliche Europaidee geboren wurde. 

Auslöser dafür war zweifellos der damals amtierende Bürgermeister, welcher wegen der politcal-correctness-balance zu den offenkundig überhand genommenen Euro-Gegnern noch sprachgewandte Befürworter suchte. Einer dieser nachträglich hinzugezogenen Redner war der Regisseur und Buchautor Walter Zupan. Er war damals bereits in seinen Siebzigern und gehörte zweifellos zu den schillerndsten Persönlichkeiten vor Ort. Als Sohn eines charmanten Ungarn, von dem er zweifellos seine speziell von den Damen geschätzte Nonchalance alter Schule geerbt hat, und einer Österreicherin, die ihn großgezogen hat und deren unverkennbarer Vorarlberger Dialekt bis heute seine Aussprache färbt. Er hatte im Grunde für ein Menschenleben viel zu viel von der Welt gesehen und einiges davon in seinen über 200(!) Filmen und zahlreichen Büchern dargestellt. Als geübter Erzähler versteht er es daher selbstredend, überaus spannend von seinen unzähligen  Abenteuern aus seinem bewegten Leben zu berichten. Einerlei ob es nun um lebensgefährliche Dreharbeiten in den kommunistischen Gefilden Videl Castros geht, oder die bewegende Story, wie er zusammen mit seinem Freund Hermann Gmeiner zwischen den Kampf-Fronten des Vietnamkrieges, unter undenkbar widrigen Umständen, ein SOS-Kinderdorf aufgebaut hat. Oder über den fulminanten Sieg bei der österreichischen Bundeskanzlerwahl unter seiner Wahlkampfleitung und sein Engagement in den Anfängen der heute weltweit gefeierten Bregenzer See-Festspiele und so weiter und so fort " 

Man fragt sich spätestens nach Dutzenden solcher Geschichten unwillkürlich: Wie alt ist dieser Mann eigentlich, der das alles erlebt haben will? Aber am besten beschreibt man die unglaubliche Lebenserfahrung dieses W. J. Zupan, indem man sich vorstellt, in einem vertraulichen Gespräch mit ihm einfach irgend ein Stichwort fallen zu lassen. Sagen wir mal Saudi Arabien, oder Bundesbahn, Jugenstilvilla, Kampfpilot oder vielleicht Geheimdienst, ganz egal - ohne das man sich versieht, übernimmt er völlig überraschend den ihm imaginär zugespielten Ball, richtet sich kerzengerade auf und fragt mit schelmisch und vor Tatendrang  blitzenden Lausbubenaugen: "Geheimdienst? Tut mir leid, aber da fällt mir gleich wieder eine Geschichte dazu ein". Bevor man auf seine rhetorische Frage, ob man sie auch hören möchte, reagieren kann, hat er die Stimmlage bereits in einen alles übertönenden, tiefen Erzähl-Timbre gesenkt. Wer kann in diesem Moment einen klugen alten Mann unterbrechen, der es geschickt versteht, einen Spannungsbogen aufzubauen und kurzweilig über seine Erfahrung mit Gott und der Welt zu zitieren? Das kann er sich unmöglich auf Knopfdruck alles im Stegreif aus den Fingern saugen. Es sind vielmehr tief in seinem Inneren gespeicherte, einsichtsvolle Erkenntnisse, in bewegten Tagen vieler vergangener Jahrzehnte erfahren, verarbeitet und zurechtgelegt. Man muss ihm einfach zuhören, will man die Sicht der Dinge und Fragen, die uns alle bewegen, mal aus erfahrenem Munde hören. Was wir daraus machen bleibt uns überlassen. Geschickt setzt er zur rechten Zeit Sprechpausen, um zu sehen, ob die Zuhörenden der geschilderten Handlung noch folgen und wartet auf dem Höhepunkt der Erzählung, wohl zeitlebens mit Applaus verwöhnt, auf ein zustimmendes Lächeln oder Nicken, als kleine Anerkennung seines Vortrages. Verzeihen wir ihm diese winzige Marotte, können wir doch, wie erwähnt, auf diese live überlieferte Weise mitunter mehr über ihn, also über das pure Leben weit mehr erfahren, als in unzähligen Geschichtsbüchern. Darin bestimmen in der Regel immer die Sieger die Ereignisse aus ihrer Sicht - aber sie haben wohl nicht immer recht.

. . . w e i t e r

    
         
   
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