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Der
große Gemeindesaal hatte sich nach und nach doch noch bis auf den
letzten Platz gefüllt. Sie waren alle da, die honorigen
Parteibuchwürdenträger, die geschulten, politischen
Meinungsmacher,
die sich meist maßlos selbst überschätzenden niederen Chargen aus
den verstaubten Amtsstuben, und irgendwo dazwischen die
reformbestrebten "Wir- sind-Europa-Idealisten". So kam auch, was kommen musste. Der
Informationsabend über Pro und Contra zum EU-Beitritt mutierte
schnell zur einschläfernd langatmigen, polemischen Debatte
provinzialen Kleindenkens. Die Offiziellen schafften es aus eigener
Kraft einfach nicht, den Bürgern die für die Zukunft Österreichs
geradezu überlebenswichtige Notwendigkeit eines Vereinten
Europas zu vermitteln. Die EU-Gegner hatten die Oberhand und
argumentierten
immer überzeugender als die beamteten Europa-Werber aus Wien und
Umgebung. Hier kam, wie bereits erwähnt, der vom Bürgermeister
in weiser Voraussicht nachträglich noch schnell auf die Rednerliste
gesetzte Herr W. J. Zupan gerade mal recht. Mit der roten
Schlusslaterne
in der Hand sollte er nun die von den Vorrednern hervorgerufene
autonome Strömung etwas relativieren und den positiven Weg zum
Europabeitritt neu beleuchten. So oder ähnlich hatte sich der
geschickt taktierende Bürgermeister die dienstbeflissene Erfüllung
der von höherer Stelle vorgeschriebenen Ausgewogenheit des
Info-Abends gedacht, als er Herrn Zupan auf die Bühne bat. Aber
dieser Schlussredner stellte sich im nachhinein ganz schnell als
echter Europa-Joker heraus. Im Laufe des Abends hatten die EU-Nörgler
in ihm blanke Wut angestaut und dadurch die Lust auf Europa nur noch
weiter gestärkt und es hatte sich mehr und mehr das klare Bild
einer großen, starken Union vor seinen Augen aufgetan. Die
strahlend blaue Flagge mit den zwölf goldenen Sternen, als
strahlendes, gemeinsames Symbol für Jahrtausende lange Tradition
und christlicher Verpflichtung gegenüber unserer Ahnen. Ein
mindestens gleichwertiges Pendant zur amerikanischen Flagge und
ein Aufruf zur Rückbesinnung auf unsere eigene Kultur als Gegenpart
der Amerikanismen aus Übersee. Wir können stolz auf diesen
unseren, im Einzelnen überaus individuellen, aber durch eine lange
gemeinsame Geschichte untrennbar verbundenen, starken Völkerbund
EU sein, und könnten, wären wir uns nur einig, immerhin die größte
Wirtschaftmacht der Welt sein: Die Vereinigten Staaten von
Europa! Zupan nahm die Herausforderung mit voller Leidenschaft an,
da er dieses kurzsichtige, kleinlich nationalstaatliche Unabhängigkeits-Gerede,
wohl begründet durch unterbewusste, archaische Ressentiments aus
den furchtbaren nachbarlichen Erfahrungen der vielen Kriege, von
denen er selbst vieles erzählen könnte, nicht mehr mit anhören
wollte, zumal sie dadurch diese sich in unseren Tagen so einmalig
darbietende historische Chance einer kontinentalen Verbrüderung
einfach zunichte machte. Und so hielt er die Rede seines Lebens und
schaffte es, zur Überraschung vieler Beobachter, die lauten
Anti-EU-Unkenrufe zum Schweigen zu bringen und die meisten Menschen
im Saal auf den Pro-Europa-Kurs einzustimmen.
Irgendeine Stunde der darauf folgenden schlaflosen Nacht muss man
wohl für den Ursprung seiner Grundidee, eines
neutralen völkerverbindenden Brunnens ansetzen. Doch außer
der eigenen Schlaflosigkeit und der bohrenden Gewissheit, den
Menschen ihren Heimatkontinent, den wunderbaren Okzident Europa mit
etwas einzigartig "Augenscheinlichem" deutlich sichtbar,
begreifbar und erlebbar zu machen, war damals kein weiterer
Geburtshelfer anwesend. Die Österreicher stimmten in einem
demokratischen Volksbescheid letztlich zwar klugerweise doch noch
dem EU-Beitritt zu, aber richtige Europäer sind sie damit noch
keineswegs geworden. Zu vieles spricht im gegenwärtigen
Mainstream gegen Brüssel. Dort geht es, wie sollte es anders sein,
um die künftige Machtverteilung im neuen umfassenden Haus
Europa. Sie wird auf dem aalglatten politischen und diplomatischen
Parkett der belgischen und luxemburgerischen Salons, aber vor
allem hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Wir Unionsbürger,
um die es im Grunde geht, bleiben außen vor und wissen meist gar
nicht, wer uns da eigentlich regiert. Über unsere Köpfe hinweg
wird eine allgemeine Verfassung
ratifiziert und bestimmt, wie unser Europa in Zukunft
aussehen wird. Kann man unter dieser Prämisse einer alle Europäer
und Europäerinnen einbeziehende, lebendigen Idee und vielen
durchaus
mutigen und klugen Menschen, den Bauherren der Europäischen Union
ein zivilgesellschaftliches Denkmal bauen? Herkömmliche
Monumente dieser Art markieren fast ausschließlich zweifelhafte
Siege und bittere Niederlagen, sie verpflichten die Lebenden zum
Nicht-Vergessen, statt sie wie der angedachte Europa-Brunnen mit
einer Steinsäule der Nationen, von reinigendem Wasser umflossen
und damit symbolisch von den Sünden ihrer Väter und Urgroßväter
zu entbinden trachtend. Diese großen europäischen Gedanken plagten Zupan damals Tag und Nacht. Es sah
wirklich nicht danach
aus, dass diese einfache Brunnen-Idee bahnbrechend wirken würde.
Als visuell geprägter Mensch wollte er ein für uns alle
begreifbares Europa sichtbar machen, nicht mehr, aber auch nicht
weniger.
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